7 Fragen - 7 Impulse Karin Demming - Expertin für neue Lebens- und Wohnformen

Neue Lebens- und Wohnformen

Wie, wo und mit wem möchte ich leben? Was ist mir dabei wichtig? Wie finde ich die passende Wohnform für mich und welche Wohnform ist für mich geeignet? Der Wunsch vieler Menschen nach einem möglichst selbstbestimmten Leben bis ins hohe Alter hat die Entstehung alternativer Lebens- und Wohnformen begünstigt. Doch wie sieht die Umsetzung in der Praxis aus? Welche Treiber und Hemmnisse gibt es?

7 Fragen – 7 Impulse

Die Frank-Basten-Stiftung stellt Fragen an:
Karin Demming – Expertin für Neue Lebens- und Wohnformen

1. Was fasziniert Dich besonders an neuen Lebens- und Wohnformen?
Besonders begeistert mich, dass kollaborative Wohnformen mehrere Herausforderungen unserer Gesellschaft gleichzeitig lösen können. Sie sind eine Antwort auf komplexe Themen wie z. B. die Vereinzelung in der Gesellschaft, der hohe Ressourcenverbrauch und der immer knapper werdende Wohnraum. Das bedeutet, dass Menschen, die in Gemeinschaft leben, sich zugehörig fühlen und dabei länger gesund und fit bleiben. Gleichzeitig verringert jeder einzelne durch das Teilen von Räumen, Dingen und Aufgaben seinen ökologischen Fußabdruck. Dabei faszinieren mich auch die vielzähligen Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinschaftsprojekte. Kein Projekt gleicht dem anderen, das gemeinschaftliche Wohnen ist für junge Menschen ebenso attraktiv wie für ältere Menschen, Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung.

2. Wie schätzt Du die aktuelle Entwicklung neuer Lebens- und Wohnformen ein?
Das Thema Gemeinschaftliche Wohn-und Lebensformen entwächst aus dem Nischenmarkt und dieser Trend hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren noch einmal intensiviert. Generell entsteht gerade ein neues Bewusstsein zur Umwelt und gesellschaftlichen Themen. Insbesondere bei jüngeren Menschen sehen wir, dass sie mit ihren nachhaltigen Lebensentwürfen eine enkeltaugliche Zukunft gestalten wollen. Sie haben erkannt, dass sie im gemeinsamen Wirken und in einem Leben nach dem Sharing-Prinzip mehr bewegen können, z.B. in Bezug auf die Klimarettung, der Veränderung zu einer gerechteren Welt oder um Ressourcen zu sparen. Daraus entsteht eine Vielzahl neuer Konzepte, die trotz Gemeinschaft noch genügend Individualität zulässt.

Bei Menschen in Umbruchsituationen mittleren Alters zeichnet sich ebenfalls ein gesteigertes Bedürfnis nach einem stabileren Lebensumfeld und dadurch einem erhöhten Sicherheitsgefühl ab. Das Wohnen in Gemeinschaft bietet mehr Hilfe und Unterstützung im Alltag. Aufgrund vieler gesellschaftlicher Herausforderungen werden neue Lebensmodelle eine noch größere Rolle in der Gesellschaft und Politik einnehmen.

3. Wenn Du Königin der Welten wärest: was würdest Du bzgl. neuer Lebens- und Wohnformen als erstes veranlassen?
Aktuell haben wir das Problem, dass Wohnen, Bauen oder Sanieren immer teurer geworden ist und die Kosten dafür wahrscheinlich noch weiter steigen werden. Auch die hohen Energiekosten und Zinsen lassen manches Gemeinschaftsprojekt scheitern, weil es einfach nicht mehr von der Gemeinschaft finanziell gestemmt werden kann. Auch wenn es vom Ansatz her günstiger ist, sich Wohnraum zu teilen und es Fördermöglichkeiten gibt, können trotzdem nicht alle davon profitieren. Ich würde Möglichkeiten erarbeiten, die es Menschen mit geringem Einkommen erlaubt, sich gemeinschaftlichen Projekten noch leichter anzuschließen. Das könnten zum Beispiel auch eigene initiierte Projekte für diese Zielgruppe sein.

4. Welchen Nutzen hat die Gesellschaft von neuen Lebens- und Wohnformen?
Den Nutzen habe ich schon in der Eingangsfrage beantwortet. Aber ich möchte hier noch gerne etwas hinzufügen. Der Versuch, Lösungen gegen die Folgen des demographischen und klimatischen Wandels zu finden, erstreckt sich inzwischen auf viele andere Bereiche. Städte sehen zum Teil ein großes Potential in smarten Lösungen, die aber ohne zwischenmenschliche Komponente weniger wirksam sind. Insofern sehen wir für Gemeinschaftliche Wohn-und Lebenskonzepte einen großen Mehrwert für die Gesellschaft. Partizipative Gemeinschaftsprojekte können sowohl Stadtviertel, kleinere Städte, als auch einzelne Dörfer, die vom Aussterben bedroht sind, wiederbeleben. Die Entstehung gemeinschaftlicher Lebensmodelle stärken zudem den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

5. Was gibt es bei neuen Lebens- und Wohnformen besonders zu bedenken?
Nicht jeder passt in jedes gemeinschaftliche Projekt, weil die Lebenskonzepte der Projekte so individuell sind, wie die Menschen selbst. Bevor man beschließt, sich einem gemeinschaftlichen Projekt anzuschließen oder selbst eines auf den Weg bringen möchte, sollte man sich seinen eigenen Bedürfnissen gewahr sein. Anders als bei klassischen Baugruppen, sind die Gemeinschaftsbildungs – und Entscheidungsprozesse oft zeitintensiv. Auch in einem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsprojekt gibt es Regeln, die von den jeweiligen Mitbewohner:innen vorher festgelegt werden sollten. Für die Realisierung eines solchen Projektes braucht es vor allem ein gutes Planungsmanagement und die Bereitschaft, auch für andere Verantwortung zu übernehmen, beinahe wie bei einer Gründung eines Unternehmens. Es ist von Vorteil, wenn unterschiedliche Kompetenzen, die es für die Realisierung eines Projektes braucht, in der Gruppe abgedeckt sind. Ansonsten sollte man sich dringend Unterstützung holen, denn die Anforderungen sind vielfältig – von der Gruppengröße, der Ausrichtung, des Konzeptes der Gemeinschaft bis hin zur Planung und Finanzierung des Gebäudes.

6. Wie könnte der Wissenstransfer neuer Lebens- und Wohnformen in die Gesellschaft aussehen?
Deutschlandweit gibt es viele großartige Initiativen, die Veranstaltungen organisieren, beratend zur Seite stehen und Wissen vermitteln. Trotzdem ist das Thema des gemeinschaftlichen Wohnens noch nicht in voller Gänze in der Gesellschaft angekommen. Immer noch starten Projekte ohne Vorkenntnisse in bester Absicht, etwas Großartiges zu kreieren und scheitern dann am Ende doch, weil ihnen genau dieses vollumfängliche Wissen gefehlt hat. Bei einer Umfrage mit einigen Projekten aus unserer Community kam heraus, dass viele Projekte zu Beginn der Realisierung ihres Projektes denken, sie würden den Weg alleine schaffen. Erst nach Jahren, meist wenn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist, erkennen sie, dass eine professionelle Beratung oder Begleitung von Anfang an besser gewesen wäre und sie sich dadurch viel Zeit und Geld erspart hätten. Mit dieser Erkenntnis haben wir die Akademie für gemeinschaftliches Wohnen auf den Weg gebracht. Hierüber bieten wir Workshops und Beratungen für die  verschiedenen Steps über den digitalen Weg an, auch für den allerersten oft so wichtigen Schritt für die eigene Transformation „vom ich ins wir zu kommen“.

7. Was wünschst Du dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass keiner mehr alleine leben muss, der nicht alleine leben möchte. Mit unserer Plattform fördern wir die Gestaltung widerstandsfähiger Wohn- und Lebenswelten, in denen Menschen Rückhalt in Gemeinschaft erfahren, gleiche Ziele gemeinsam verfolgen und zusammen nachhaltig handeln können. Wir wollen dazu beitragen, dass die „neuen“ Lebens- und Wohnformen in Zukunft als „normale“ Wohnformen betrachtet werden.

Vielen Dank für Deine Impulse!

Karin Demming - Expertin für neue Lebens- und Wohnformen

Karin Demming
ist Geschäftsführerin von Patchwork Communities GmbH

bring-together.de

Akademie, Lernplattform:
https://app.bring-together.de/de/akademie

Linkedin

 

Interview geführt am 21. März 2023 – Veröffentlichung am 21. März 2023

 

Skip to content